20 Jahre molodezhnaja.ch
1999-2019

 

Ich führe nun mein halbes Leben lang eine Website. Das klingt bei einem jungen Hüpfer nicht nach viel, aber ich werde dieses Jahr auch schon 45. Sprich: Ich bin länger online präsent, als mancher meiner filmaffinen Kollegen. Unter dem Namen molodezhnaja.ch sind es schon über 20 Jahre. Zeit also, mich selbst ein wenig zu feiern.

Keine Angst. Mach ich nicht. Dazu bin ich in letzter Zeit schlicht zu faul gewesen, was meine Website-Updates betrifft. Also nicht gross feiern, aber dafür kurz Rückschau halten. Die Geschichte? Die interessiert sicher nur wenige. Ich habe als kleine private Website begonnen, deren einziges Überbleibsel heute noch der Name der Hauptseite ist. Kaum klickt man bei molodezhnaja.ch nämlich auf das Logo kommt eine URL namens pedro-first.htm, ein Verweis auf meinen damaligen Chat-Namen. Chatforum. Und schon wieder fühl ich mich alt.

Mit der Zeit habe ich dann den Fokus gefunden, hab die Website molodezhnaja genannt (für die, die es nicht wissen, benannt nach einer russischen Antarktis-Forschungsstation, zu der ich während eines Schulprojekts am Gymnasium eine nicht nachvollziehbare und weitreichende Liebe entwickelt habe). Und ich habe angefangen, meine Kurzkritiken festzuhalten. Für mich. Denn man wird nie jünger, und wenn man mal 10'000+ Filme gesehen hat, ist man froh, kurz nachschauen zu können, was man denn von Film X oder Film Y hielt.

Zudem gab es mir die Möglichkeit, auch Filme zu schauen, die ich beruflich nicht immer zu Gesicht bekomme (ich bin seit 1999 Filmredaktor bei der Schweizer TV-Zeitschrift Tele). Beruflich also Tatort, Pilcher, Disney, Bay. Nichts dagegen, ich mag die Filme, ich liebe den Job. Aber irgendwie hab ich dank Filmen wie Ring und später Lagaan angefangen, mich auf das asiatische Kino zu spezialisieren. Das eröffnete neue Horizonte, hin zu Bollywood, hin zum obskuren Kino. Und angesichts des kürzlichen Oscar-Gewinns von Parasite fühlt man sich da irgendwie ein wenig stolz für die ganze Arbeit. Denn ja, es ist auch Arbeit, 6000 asiatische Filme zu schauen. Es war viel Scheisse dabei. Und viel Gold.

Das führt mich zum Hauptsegment: Über 20 Jahre - was sind die drei goldenen Momente dieser Zeit?

Platz eins ganz klar Tora-san. Ich habe Yoji Yamada dank Twilight Samurai schätzen gelernt, und bin beim Schreiben der Kritik natürlich auf dieses Tora-San-Ding gestossen. Da dreht ein Regisseur fast 50 Filme mit demselben Star, fast demselben Plot, über Jahzehnte hinweg. Und während die Japaner es liebten, drängte es nie wirklich ins Ausland. Muss man also fast mal reinschauen. Das habe ich schweren Herzens auch getan - und wurde süchtig. Mit jedem Film wuchs meine Verbundenheit zu Tora, zu Yamada, zu den Filmen, ja sogar zu Japan, wo ich (Schock) noch nie war. Am Ende der Reihe hatte ich ein Gefühl unbeschreiblicher Dankbarkeit. Dass ich an einem kulturellen Grossanlass teilhaben durfte, der mehrere Jahrzehnte umfasste, dass ich etwas entdecken durfte und reich belohnt wurde. Tora-san alleine macht die ganze Arbeit für die Website wett und wert.

Platz zwei Bollywood, aber das wäre zu pauschal. Bollywood war für mich als westlich erzogenen Kinogänger eine faszinierende Erfahrung, und in eine Filmindustrie einzutauchen, die sich nahezu autark entwickelte, ist schlicht faszinierend. Aber ich hänge es mal an Om Shanti Om auf, als der Hype im deutschsprachigen Raum auf dem Höhepunkt war und auch ich in nahezu allen Belangen, bis hin ins Privatleben, verbunden war mit Bollywood. Es war eine aufregende Zeit, ich fühlte mich wie ein Entdecker (was absurd ist, wenn eine Milliarde Menschen indische Filme seit ewig kennt). Und doch prägte es mich, und es prägte mein breit gefächertes Filmintreresse.

Nummer drei. Herr der Ringe. Ich war immer ein Geek und ein Nerd und bin es heute noch. Aber als damals "The Lord of the Rings" herauskam, war das für mich eine Offenbarung. Wenig später dann bei The Two Towers habe ich ungewollt ein Embargo gebrochen und meine euphorische Kritik landete sogar auf Aint It Cool News (als die Seite noch relevant war), was mir eine bösen Rüffel von Warner Bros eingebracht hat und mir schlaflose Nächte bescherte. Aber die Trilogie hat mich, wie viele andere, geprägt, und vielleicht nahm sie auch vorweg, dass Fantasy und Sci-Fi und all das Gedöns, das ich so liebe, nicht einfach Nerd-Nischenzeug ist, sondern ganz gross im Kommen. Dachte sicher auch Kevin Feige.

Nun sind wir im Jahr 2020 und das Internet ist ein anderer Ort. Der Diskurs wird geprägt von Twitter und Youtube, Filmkritiken sind in einer Abwärtsspirale, weil jeder Filmfan eine Community um sich schart und verbreitet, dass diese ollen Kritiker eh unnütz sind, und man lieber selbst wisse, was am besten ist. Filmeschauen ist zudem hochpolitisch geworden, Kommentare sind toxisch, alles ist extrem anstrengend. Und doch liebe ich es weiterhin, verteidige etwa The Last Jedi bis aufs Blut, selbst in den hasserfülltesten Fandom-Menace-Foren. Über Geschmack lässt sich streiten, aber mit Anstand. Und der ging in letzter Zeit etwas flöten. In Film genauso wie Politik.

Was keine Entschuldigung für meine Website-Update-Flaute sein soll. Ich game nur zu gerne. Zocken erfüllt mich, Strategiespiele sind mindestens so geil wie "Star Wars". Und irgendwann musste ich mir sagen: Junge (oder Alter), mach, was du willst. Am liebsten würde ich jeden Film beschreiben, aber es kostet Zeit. Und die vergeude ich nun halt auch gerne mal mit einem Game. Oder Bier. Oder Youtube. Oder Netflix. Oder gar nix. Mein Leben, meine Regeln, und ihr alle könnt mich mal. Nicht.

Denn auch wenn ich meine Aktivitäten zurückgeschaubt habe, freue ich mich noch immer extrem darüber, dass Leute mein Zeug lesen. Dass sie Interesse zeigen für die Texte und dadurch für die Filme. Vielleicht auch für Filme, die sonst an ihnen vorbeigegangen wären. Bollywood, Stummfilme, B-Filme, koreanische Filme - was auch immer. Ich liebe Filme, ihr liebt Filme. Das eint uns und das macht uns hoffentlich auch Spass. In dem Sinn, auf die nächsten 20 Jahre. Vielleicht bespreche ich ja auch wieder mal fleissiger ...

Cheers, Marco.

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