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#182

Straw Dogs (1971)
by Sam Peckinpah

Disks: 2  ~ erschienen 25.3.2003

Ich muss gestehen, als ich Straw Dogs vor Jahren einmal gesehen habe, war ich für den Film wohl nicht bereit. Ich gab ihm 3 Sterne und empfand ihn als sexistische Verherrlichung von Gewalt. Nach dem zweiten Mal anschauen muss ich meine Meinung komplett revidieren. Nun, da ich über den Schockwert der Gewalt und der legendär umstrittenen Vergewaltigunsszene hinwegsehen kann (und auch etwas älter geworen bin) erkenne ich erst Peckinpahs Absichten. Und sein Genie. Straw Dogs ist keine heroische Geschichte über einen Intellektuellen, der im Angesicht von Gewalt endlich zum "richtigen Mann" wird (obwohl dies sogar die idiotischen Taglines [hier] glauben liessen) - sondern eine tiefschürfende Studie über Gewalt in allen Variationen. Dabei ist Dustin Hoffman niemals der Held des Films, sondern der Aggressor!

Hoffman spielt den amerikanischen Mathematiker David, der mit seiner schönen Frau Amy (Susan George) in ein einsames Landhaus in Schottland gezogen ist. Sie werden im Dorf nicht akzeptiert, was unter anderem mit Davids Arroganz zu tun hat. Schon hier ist klar, dass David keinesfalls der Pazifist ist, als den ihn viele Kritiker sahen. In dem Mann brodelt es. Er quält seine Katze, schaut arrogant auf seine Frau und behandelt die Dörfler wie Minderwertige. Dies ist nicht der "brave Mann", der danach zum Helden wird. Etwa eine Stunde nimmt sich Peckinpah zeit, um die Ehe der beiden zu durchleuchten und die komplizierten Verknüpfungen des Paars mit der Dorfbevölkerung aufzuzeigen. Peckinpah moniert dabei die Szenen so genial, dass eigentlich immer ein Spannungsverhältnis entsteht. Die Kamera-Winkel sind etwas aus der Balance, die Augen blicken nicht exakt auf die Höhe, auf die sie schauen sollten, extreme Closeups verraten, was in den Charakteren vorgeht. Amy ist dabei eigentlich unsere Sympathieperson. Sie bockt gegen die Arbeiter, die sie mit ihren Blicken fast ausziehen und als sie mit David mal wieder Streit hat, zeigt sie sich ganz kurz den Arbeitern nackt. Kritiker interpretierten das als Anmache. Doch Amy macht nicht an. Es ist vielmehr eine erst passive Reaktion auf Davids Aggression. Sie spielt mit den Jungs - aber nicht um Sex, sondern um Dominanz. Amy ist in diesen ersten Szenen eine starke Frau, deren einzige Hürde ihr Mann ist.

Und nach einer Stunde kommt die Szene, die die meisten Zuseher in Erinnerung behalten: Amys Vergewaltigung. Einer der Arbeiter ist ihr Ex-Freund Charlie (Del Henney) und der bedrängt Amy, als sie alleine zuhause ist. Sie wehrt sich (ziemlich eindeutig), aber Charlie benutzt nicht nur Gewalt, sondern auch die einstigen Gefühle, um Amy auf die Couch zu zwingen. Es folgt eine Vergewaltigung, die aus technischer Sicht superb ist, weil sie sehr gut geschnitten ist und uns immer wieder in die subjektive Sicht von Amy bringt. Die Kritik, die Peckinpah sich gefallen lassen musste, betrifft vor allem diese Szene - weil Amy mit der Zeit Gefallen findet. Die grosse Missinterpretation ist jedoch, dass ihr die Vergewaltigung gefällt. Ja, sie reagiert mit einer Mischung aus Abscheu und Zärtlichkeit, aber dabei darf man zwei Dinge nie vergessen: Erstens ist dies ihr Ex-Lover, für den sie vielleicht keine Gefühle mehr hegt, den sie aber keineswegs hasst. Zum anderen hat ihr Mann sie in den letzten Tagen gedemütigt und ihr alle Emotionen verwehrt. Dies ist die erste Chance auf Emotionen - und auf Rache an David. In die Vergewaltigung fliessen so viele Aspekte, dass man sie nicht einfach als sexistisch abtun kann, weil ihr der Sex anscheinend ein wenig gefällt. Das ist der leichte Ausweg aus dieser psychologisch höchst komplexen Situation.

Peckinpah lässt einen zweiten Typen dazu kommen. Er vergewaltigt Amy ebenfalls und Charlie hält sie dabei nach unten. Hier ist die Abscheu viel klarer, was auch oben gemachten Punkt eins untermauert. Nach der Vergewaltigung erzählt Amy David nichts, die Atmosphäre ist angespannt - und Amy wird fortan von Erinnerungen an die Tat geplagt. Sicher nicht die Gedanken einer "glücklichen Frau". Von der psychologischen Gewalt wechselt Peckinpah nun zur Gewalt an Gegenständen, wenn das Haus des Ehepaars belagert wird. Und zuletzt, erst in der letzten Viertelstunde kommt es zur legendären körperlichen Gewalt. Peckinpah ist berühmt für Gewalt, aber die physische nimmt in Straw Dogs nur einen Bruchteil der Lauflänge ein. Und in diesen schlicht brillant geschnittenen Szenen zeigt Peckinpah wie immer auch das Resultat der Gewalt. Nicht als Splatter-Bilder, sondern als logische Konsequenz. Das war 1971 eine gewagte Sache, denn auch Peckinpah selbst in Wild Bunch oder Kubrick in Clockwork Orange zelebrierten Gewalt auf einer ästhetischen Weise - und viele andere Filme zeigten nicht einmal das Resultat von Gewalt. Clockwork Orange und Wild Bunch taten das, aber beide ohne den Realitätsgehalt von Straw Dogs. Insofern ist der Film am Ende ein pazifistischer Film. Nicht David ist pazifistisch, der Film ist es. Und aus David ist auch keinesfalls ein "Held" oder "richtiger Mann" geworden, sondern ein Wrack. Und die Dämonen, die er lange in sich hatte, liess er nun frei - aber nicht in einer reinigenden Art à la Fight Club, sondern in einer destruktiven Art. Dieser Mann ist nicht befreit, sondern kaputt. Und für Amy, unsere eigentliche Heldin, gilt das noch viel mehr.

Sie ist psychisch zerstört, was dem Film eine extrem depressive Stimmung gibt. Ich weiss nicht, wie man da irgendwelchen Heroismus ausmachen kann. Dieses Ende ist so frustrierend wie möglich. Näher bei The Night of the Living Dead als bei einem üblichen Rache-Film. Straw Dogs ist denn auch kein Rache-Film, wofür ich ihn früher gehalten habe. David rächt sich ja nicht für die Vergewaltigung seiner Frau (davon weiss er nie etwas!), sondern wehr sich gegen die Invasion des "Pöbels" - weniger sein Haus ist bedroht, sondern seine intellektuelle "Überlegenheit". Und deshalb greift er zur Gewalt. Mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten.

Straw Dogs ist ein technisch kaum schlagbarer Film, vor allem, weil er perfekt geschnitten ist. Wild Bunch hatte mehr Schnitte als jeder Film vor ihm, aber in Straw Dogs machten Peckinpah und seine drei Editors (u.a. Roger Spottiswoode, "Tomorrow Never Dies") das Schneiden zur absoluten Kunstform, ohne die der Film nicht funktionieren würde. Der Film war allein in Sachen Schnitt seiner Zeit 5-10 Jahre voraus - wenn nicht sogar noch mehr. Er ist auch schauspielerisch blendend - vor allem von Seiten von Susan George. Und die Message ist besser, als man dem Film gönnen mag. Er ist letztendlich moralisch und pazifistisch, und nicht gewaltgeil und frauenfeindlich. Ich habe noch immer kleinere Probleme mit dem Film, aber nach dem zweiten Mal anschauen sehe ich in nun in der grossen Tradition der gewagten Filme, die Ende 60er / Anfang 70er die Inszenierung der Gewalt auf eine neue Ebene hoben. Straw Dogs ist nicht Clockwork Orange, aber wegen seiner realeren Umgebung vielleicht schockierender als Kubricks Film. Und die frustrierende Botschaft ist bei beiden ähnlich: Menschen werden immer gewalttätig sein.

Soviel zu dem klassischen Film, nun zu Criterions Top-Ausstattung:

• Anamorphic Widescreen - 1.85:1
• Audio: Englisch 2.0.
• Untertitel: Englisch.
• Genialer Audiokommentar von Stephen Price.
• Trailer (Kino & TV).
• Szstin Hoffman auf dem Set von Straw Dogs (26 Min.).
• Video-Interviews mit der Schauspielerin Susan George und Produzent Daniel Melnick.
• Dokumentation Sam Peckinpah: Man of Iron (82 Min.).
• Isolierter Musik- und Effekts-Track.
• Behind-the-Scenes-Material.
Peckinpah Responds - die Reaktion des Regisseurs auf Kritiken.
• Aufsatz von Joshua Clove.
• Interview mit Sam Peckinpah von 1974.

Fazit: Ein unterschätzter Klassiker auf einer formidablen Disk- V.a. der Audikommentar bietet viel Insight in den Film.

 

 

Film:    ~   DVD:  

 

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