The Missing (2003)

US-Start: 26. 12. 2003
CH-Start: 12. 02. 2004


Regie: Ron Howard
Buch: Ken Kaufman
Produktion: Ron Howard, Brian Grazer, Daniel Ostroff
Kamera: Salvatore Totino
Musik: James Horner
Cast: Cate Blanchett, Tommy Lee Jones, Evan Rachel Wood, Jenna Boyd, Aaron Eckhart, Eric Schweig, Val Kilmer
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Kritiken:
Roger Ebert (USA) 2/4 ...
Blanchett is strong and determined, and the only flaw in her performance is that it's in the wrong movie.
James Berardinelli (USA) 3/4 ...
The Missing is arguably Ron Howard's grittiest effort to date as a filmmaker.

 

Review:
28.1.04

Der Western wurde öfter totgesagt als John Travoltas Karriere. Doch ebenso wie Travolta schafft das Genre alle paar Jahre wieder ein Comeback. Sei es mit Kevin Costners Indianer-Epos "Dances With Wolves" (1990) oder Clint Eastwoods "Unforgiven" (1992). Im Jahr 2003 konnte der Western ein Mini-Comeback feiern und gleichsam die ganze Pallette seiner Variationen anbieten. Nach etlichen misslungenen Teenie-Western à la American Outlaws oder Texas Rangers bot Kevin Coster mit "Open Range" einen fast trotzig altmodischen Western an, Anthony Minghella brachte in Cold Mountain den Bürgerkrieg und eine Liebesgeschichte in gewisse Western-Formen. Und Ron Howard kitzelte aus seinem "The Missing" gar Elemente des Dramas, des Thrillers, ja sogar des Horrorfilms. "The Missing" ist so düster, er lässt "Unforgiven" wie eine Glücksdroge aussehen. Das Wort "düster" wurde in letzter zeit ja inflationär verwendet, meistens, wenn der Regisseur den Beleuchtungstechniker gefeuert hat und die Leinwand einfach so oft wie möglich dunkel ist (Underworld). Doch "The Missing" ist durch und durch düster. Die Seelen der Leute, ihre Vergangenheit, ihre Zukunft, ihre Gegner: Alles strotzt vor Düsterniss. Der Film ist damit geradezu ein Depro-Western, in dem es erst in den letzten 20 Minuten so etwas wie Hoffnung gibt und in dem Cate Blanchett einmal lacht. Rund 15 Minuten vor Schluss.

Howard führt uns am Anfang in eine kleine, nicht ganz heile Welt des Jahres 1885 ein, bevölkert von Maggie (Cate Blanchett) und ihrem Clan. Sie ist allein erziehende Mutter der aufmüpfigen Teenagerin Lilly (Evan Rachel Wood, "Thirteen") und der 10-jährigen Dot (Jenna Boyd). Hilfe im täglichen Leben bekommt sie nur von ihrem Freund Brake (Aaron Eckhart). Eines Tages erscheint ein alter Reiter auf dem Hof, der aussieht wie ein Indianer. Es ist Jones (Tommy Lee Jones), Maggies Vater! Er hat die Familie vor vielen Jahren verlassen, um mit den Apachen zu leben. Seine Tochter hat ihn deshalb für tot erklärt und schickt ihn auch sogleich wieder weg. Doch da wird Brake bei einem Ausflug ermordet und Lilly entführt. Weil Jones Fährten lesen kann, bittet Maggie ihn zögernd um Hilfe. Jones erkennt, dass der Entführer ein indianischer Hexer Namens Pesh-Chidin (Eric Schweig) ist, der Mädchen kidnappt und nach Mexiko verkauft. Vater und Tochter nehmen mit Dot im Schlepptau die Verfolgung auf.

Roger Ebert warf dem Film vor, man sähe das Gerüst seines Drehbuchs. So sei es etwa durchschaubar, dass Dot nur mit auf die Reise gehe, um sie in Gefahrensituatonen zu bringen. Das ist richtig, "The Mission" ist drehbuchtechnisch etwas schwer konstruiert. Doch Howard weiss, welche Geschichte er erzählen will, welche Stimmung er erzeugen möchte. Und wenn man mit ihm auf diese Reise ins Herz der Dunkelheit gehen kann, dann vergisst man bald die Konstruktion und sinkt immer tiefer in den Kinosessel. Ich sehe sofort, dass, wenn man dies nicht kann, der Film eine Aneinanderreihung von Tragödien ist. "The Missing" ist denn auch niemals so stark wie "Unforgiven", aber es ist ein Western, der (fast) keine Kompromisse macht auf seinem Weg zum unvermeidbaren Schluss. Elemente von John Fords The Searchers saugt er dabei genauso auf wie solche von "Unforgiven" oder Fords emanzipatorischem "7 Women". Was er ausspeit ist halt eben über alle Masse deprimierend. Vergewaltigung, tote Babies, ein psychopathischer Killer, nächtliche Angriffe, eine kaputte Familie, okkulte Morde, Folterungen von Frauen - die Liste ist endlos. Doch weil die Charaktere so stark sind, ging ich mit ihnen gerne diesen Weg. Cate Blanchett ist schlicht brillant als geknickte Powerfrau. Tommy Lee Jones überzeugt als Aussenseiter, der nie ganz so hold ist, wie man ihn haben möchte. Selbst Maggie sucht er nicht auf, um die Familie zu kitten, sondern weil er von einer Klapperschlange gebissen wurde und ihm der Medizinmann sagte, er solle ein Jahr keine Kaninchen essen und dafür seine Familie besuchen, um geheilt zu werden. Klar ist "The Missing" ein schwerer Wester um Schuld und Vergebung, doch so manche Triebfeder der Charaktere ist schlicht nur Eigennutz oder (im Falle von Blanchett) starke Muttergefühle - zu einer Tochter, die aus einer Vergewaltigung entstand. Nichts hat nur eine Seite in dem Film, und das fand ich so reizvoll.

Auffällig ist dies auch bei den Indianern. Die Bösewichte in "The Missing" sind vorwiegend Indianer (mit ein paar begleitenden Weissen). Böse Indianer? Da klingen die Alarmglocken. Doch Jay Tavare, der den noblen Indianer Kayitah spielt, bringt es auf den Punkt: "In den alten Hollywood-Filmen waren die Indianer immer die Bösen. Und nach 'Dances With Wolves' waren sie immer die Guten. 'The Missing' findet die richtige Balance." Dass es eine kritische Balance ist beweisen auch die verschiedenen negativen Kritiken. Ebert bemängelt, dass der Film so politisch korrekt sei, dass die Mädchen von ihren indianischen Kidnappern nicht einmal missbraucht werden (ähm ja, weil einer mal treffend sagt "verbrauchte Ware bringt weniger Geld"). Das Slant-Magazin meint gerade gegenteilig, der Film sei politisch absolut inkorrekt, weil die Indianer bloss Wilde seien, die einen nobel, die anderen schlicht böse. Doch wieso sind sie böse? Pesh-Chidin, das Monster des Films, will Rache. Rache am weissen Mann, die ihn blind vor Wut macht. Und seine Wegbegleiter sind bloss gierig nach Geld, verdorben durch den Materialismus der Weissen. Die Indianer töten also nicht, weil sie Indianer sind, sondern weil die Expansion der Weissen ihre Traditionen und ihre Gesellschaft ruinierten. Im Falle von Pesh-Chidin ist daraus in bester Horrormanier ein Monster geworden, das die Weissen nun nicht mehr los werden.

Pesh-Chidin ist masslos überzeichnet, diabolisch gespielt vom halb-Inuit-halb-Deutschen Eric Schweig. Er bringt seine Zauberkräfte sogar ins Spiel und belegt Blanchett in einer Szene mit einem Fluch, den seine Gegner bloss in einem etwas kitschigen "ökumenischen Gottesdienst" aus Bibel und Naturreligion bezwingen können. Die Szene ist etwas ab vom Weg. Auch ein kurzer Handlungsstrang um einen Fotografen, den Pesh-Chidin grausamst tötet, wirkt unausgereift. Doch ich war dennoch gefesselt, weil Howard sich nicht in diesen Nebenhandlungen verlor, sondern sie einsetzte, um den Hauptplot auszuschmücken, die Dimension des Films zu erweitern.

Ist "The Missing" denn nun ein guter Film? Ja. Ist er einer, der allen gefällt? Klar nein. Denn der Streifen ist so weit weg von einem Feelgood-Movie, wie er nur sein kann. Danach ist man niedergeschmettert - und wer will das schon sein? Ich manchmal eben schon, denn wenn ein Film dies schafft, bin ich beeindruckt. Klar ist es durchschaubar, dass Howard die kleine Dot mitschickt (es heisst, sie würde Mamma eh nachreiten ... jaja), nur damit ein kindliches Opfer parat ist. Es ist durchschaubar, wie Howard ein kleines Baby sterben lässt, wie die Vergangenheit der Familie durch Vergewaltigung und Verrat gekennzeichnet ist, doch das Ziel ist eben trotz zwei-drei-Marlboro-Paneramen absolute Tristesse. Die Darsteller und Howards bisweilen manipulative Regie führen einen dorthin. Das sollte ja auch Ziel des Films sein: Die Zuschauer in eine dunkle Ecke zu führen und sie da stehen zu lassen. "The Missing" ist kein perfekter Film und keiner, den sich das Massenpublikum ansehen sollte. Doch ich war fasziniert von dieser "brutalen Geschichte ohne Kuschelfaktor" (Cinema). Ron Howard hat bessere Filme gedreht ("Apollo 13", "Willow") und schlechtere ("A Beautiful Mind", sein zweitdüsterster Film) - aber noch nie einen kompromisslos deprimierenderen. Der Western feiert so eben sein kleines Comeback - und zwar in all seinen Spielarten.



page created: 28.1.04  ~  last updated 28.1.04

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