Alexander (2004)

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US-Start: 24.11.2004
CH-Start: 06.01.2005

 

Regie: Oliver Stone
Buch: Oliver Stone, Christopher Kyle, Laeta Kalogridis
Musik: Vangelis
Kamera: Rodrigo Prieto
Mit: Colin Farrell, Angelina Jolie, Val Kilmer, Jared Leto, Anthony Hopkins, Rosario Dawson, Christopher Plummer, Jonathan Rhys-Meyers, John Kavanagh, Elliot Covan, Connor Paolo, Gary Stretch, Brian Blessed
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Kritiken:
James Berardinelli (USA) 2/4
three-hour miscalculation
Roger Ebert (USA) 2/4 Here is an ambitious and sincere film that fails to find a focus for its elusive subject
Slant Magazine (USA) 2½/4
this doesn’t mean that the ham-fisted Alexander can’t be enjoyed as My Big Gay Greek Epic.
BBC (GB) 2/5 With its epic heights of pantomime silliness, Alexander will grate on your nerves.
Cinema (D) 3/5 Die Inszenierung [ist] leblos und kühl. Viele der Dialoge wirken wie abgefilmtes Theater.
(c) Intermedia / Pathé / Warner Bros.

 

Review:

17.12.04

Den Hass, den manche Filmgänger auf dieses 150-Millionen-Dollar-Epos entwickelt haben, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Manchem konservativen Amerikaner war die Bisexualität ein Dorn im Auge und auch mancher Grieche wollte aus falsch verstandenem Patriotismus die Bisexualität aus der eigenen Geschichte verbannen. Andere bringen einfach nicht die Geduld auf, 176 Minuten im Kino zu sitzen. Und wieder andere hassen einfach Oliver Stone und geniessen es, wenn der Provokateur auf die Nase fällt. Ja, er fällt. Sein grosser Traum, sein epischster Film, entspricht nicht den Erwartungen. Aber ich sehe lieber eine grosse Vision (fast) scheitern als ein verkünstelter Quatsch oder ein auf-Nummer-sicher-geh-Film. Ich habe Troy nach langem Hin und Her abgwertet auf 3½ Sterne, während ich "Alexander" nach ebenso langem Hadern auf 4 heraufgesetzt habe. Der Grund? Troy ist stringenter, unterhaltsamer und hat Brad Pitt. Doch es ist, wie ich damals in der Kritik geschrieben habe, ein eher hemdsärmliges Werk. "Alexander" dagegen ist eine mutige Vision eines exzessiven Filmemachers. Vieles an dem Epos verschlingt der gemeine Cineast mit Wollust, anderes ist fast schon missraten. Doch es steckt mehr Leben in diesem Film als in Troy - und mehr Leidenschaft. Es ist der "fleischigere", menschlichere Film - trotz viel Theatralik.

Doch zuerst zum Gerüst. Der Plot wird vom alten Ptolemäus (Anthony Hopkins) aufgerollt, der im ägyptischen Alexandria als Pharao regiert und seinem Schreiber Alexanders Geschichte erzählt, so weit er sich erinnern kann. Denn er war in jungen Jahren mit Alexander unterwegs. Ptolemäus erzählt, Alexander sei im Juli 356 vor Christus geboren worden. Seine Mutter ist Olympias (Angelina Jolie), eine Prinzessin aus Epeiros, sein Vater Phillip II (Val Kilmer), der König der Makedonien. Die Eltern sind zerstritten, weshalb Alexanders Bindung zur Mutter in der Kindheit stärker ist als zum Vater. Olympias, die ihren Sohn zum Herrscher der Welt machen wollte, will ihn zu Intrigen verführen, sein Vater sieht in ihm eher einen Schwächling von unreinem Blut. In Mieza werden Alexander und seine Hetairen von Aristoteles (Christopher Plummer) unterrichtet. Dabei wird Alexanders Freundschaft zu Hephaistion vertieft. Jahre später ist Alexander (Colin Farrell) 19 Jahre alt und erfährt, dass sein Vater neu heiraten will, um einen neuen Erben zu zeugen. Olympias kocht vor Wut. 336  wird Phillip von Pausanias ermordet. Wer dahinter steckte, wird nicht ganz geklärt, aber Alexander ist nun König. Er festigt den Thron und zieht nach Osten, um den Krieg seines Vaters fortzuführen: gegen die Perser. Mit knapp 40'000 Mann besiegt er bei Gaugamela die dreimal so starke Armee des Grosskönigs Dareios III (Raz Degan). Alexander zieht als gefeierter Held in Babylon ein. Doch er will weiter nach Osten. Er nimmt die Verfolgung von Dareios auf, der bald von seinen eigenen Männern ermordet wird. Immer weiter nach Nordosten dringen Alexanders Truppen vor und unterwerfen barbarische Stämme. Alexander heiratet die "Barbarin" Roxane (Rosario Dawson) und verstört damit nicht nur seinen Liebhaber Hephaistion (Jared Leto). Nach der Überquerung des Hindukuschs scheint Alexanders Kampfkraft an den mit Elefanten ausgerüsteten indischen Fürsten zu scheitern ...

Da Alexanders Geschichte viele Lücken aufweist, bestand für Stone stets Raum für Interpretationen. Das kann er und das macht er gut. Ansonsten gibt es viele historisch durchaus verbürgte Elemente im Film. Selbst die diffuse Motivation von Alexander ist belegbar. Sein Wandel vom idealistischen Weltenvereiniger hin zum beinahe Besessenen. Stone bringt noch weitere Aspekte hinein: Flucht vor der Mutter, Nacheifern des Heldenmuts von Achilles und seines Vaters. All dies bringt "Alexander" (dem Film) nicht gerade Fokus, wenn selbst die zentrale Figur nicht richtig weiss, was sie will. Der Zwiespalt zwischen Göttlichem, Heldenhaftem und Menschlichem fängt Stone zwar gut ein, doch der Film verliert an dramaturgischer Kraft. Müsste er seinen Protagonisten einfacher machen? Heldenhafter? Wohl kaum, denn er ist auf ein postmodernes Epos aus, bei dem der Held auch mal Muttersöhnchen sein kann, mal weinendes Baby, mal Lover, mal Verblendeter. Nicht umsonst lässt Stone das "der Grosse" aus dem Titel weg, nicht wie der eher biedere "Alexander the Great" (1956) mit Richard Burton. Wie gesagt: Die Person Alexanders wird durch diesen Film kaum fassbarer - aber vielleicht sogar noch faszinierender. Das liegt in der Natur der Sache. Wie jemand mit 32 Jahren einen Grossteil der bekannten Welt erobert haben kann, wird sich die Geschichtsschreibung noch lange fragen. Und "Alexander" gibt darauf nur bedingt Antworten. Ist der Film deshalb schlecht? Eindeutig nein.

Aber er ist definitiv zu lang. Ich sitze gerne drei Stunden im Kino, wenn es sich lohnt, doch bei "Alexander" kommt die Dramaturgie hie und da zum Stillstand. Stones Ansatz, seine Charaktere theatralisch auftreten zu lassen, macht die Sache noch anstrengender, verleiht den Ereignissen aber beinahe Shakespeare-Qualitäten. Wuchtige Dialoge voller Pathos, schreiende Akteure, grosse Gesten - das funktioniert, wenn man sich darauf einlässt. Sonst verkommt der Film zur Freakshow. Grösste Sünderin ist Angelina Jolie, die zwischen diabolischem Grinsen, lüsterner, fast inzestuöser Liebe und Besessenheit chargiert bis sich die Balken biegen. Medusa trifft Bette Davis trifft Gertrude ("Hamlet"). Aber ich für meinen Teil mochte diesen Ansatz. Selbst die absurde Wahl der Dialekte störte mich nicht. Jolie spielte ja eine vermeintliche Barbarin, also darf sie anders reden als der wohlerzogene Alexander - der nun halt einen irischen Akzent hat. Wer darauf rumtrampelt, verfehlt das Ziel. Colin Farrell behält also seine Sprache und spielt dementsprechend ganz gut. Ihm fehlt die Schwere eines Russell Crowe und nicht zuletzt deshalb fragt man sich, wieso er ein so grosser Feldherr wurde. Aber genau das fand ich reizvoll: Alexander ist kein mythischer Übermensch, sondern ein kluger, energiegeladener Taktierer. Die erste Schlacht gegen Dareios ist wunderbar eingefädelt und dadurch wird sein Status zementiert. Er wird geradezu zum Göttersohn erkoren, ein Status, mit dem er immer mehr hadert und der ihm letztendlich den Untergang beschert. Ich fand Colins Performance deshalb durchaus passend. Nicht minder überzeugend ist Val Kilmer als sein vernarbter, etwas profaner Daddy. Jared Leto bleibt als Lover eher fad. Mehr Sinnlichkeit hätte dringelegen. Rosario Dawson kriegt eine gute Sexszene, die animalische Lust und Begierde ausströmt, doch danach verliert sie Potenzial. Anthony Hopkins bleibt blass, weil seine Rolle als Erzähler kein Schauspiel benötigt und dramaturgisch ziemlich billig ist.

Die Emotionen werden durch die Theatralik des Spiels etwas unterdrückt. Leider auch jene von Alexander. Seine Liebe zu Hephaistion wird nur in Umarmungen und oberflächlichen Liebesschwüren verdeutlicht. Mit Rosario Dawson gibts dafür Sex - wohl eine Konzession ans US-Publikum, das sich mit einem bisexuellen Helden nicht anfreunden könnte, obwohl Lustknäbchen und dergleichen in antiker Zeit alles andere als eine Seltenheit waren. Dies macht Stone zum Glück deutlich, ein Grund, weshalb "Alexander" fleischiger wirkt als "Troy" - und organischer. Neben dem Sex und den Dyonisos'schen Saufgelagen ist es auch die Bildsprache. Stone griff für einmal nicht auf seinen Kameramann Robert Richardson zurück, sondern auf Rodrigo Prieto, der Angelina schon in "Original Sin" sexy abfilmen durfte (und wo ihr übrigens ins Gesicht gespuckt wird, hier darf sie selber spucken). Prieto dreht weniger episch als es Richardson wohl getan hätte, aber das kommt dem Film insbesondere bei den Babylon-Szenen voll zu Gute. Solche Bilder hat man in einem Historienepos noch selten gesehen. Famose CGI mischt sich mit grünen, üppigen Sets und lässt eine fabelhafte Stadt aufleben. Die Schlachten sind nicht minder beeindruckend. Es gibt leider nur zwei grosse, aber beide toll. Die erste gegen Dareios lebt von der Strategie und dem Blut. Nicht so derb wie etwa "Braveheart", weil hier die Kamera oft wackelt, aber der kinetische Effekt ist deftig. Die Schlacht in Indien ist noch besser. Extrem blutig durch den Einsatz von Elefanten - und beinahe surreal. Eine der besten Einstellungen (der Money Shot) zeigt Alexanders Pferd gegen einen Elefanten aufstehen. Da wird endlich Oliver Stone sichtbar, da gibt es ein rauschhaftes Gefühl, wie wir es von Stone in "The Doors" oder "Natural Born Killers" kennen. An den kühn-kühlen Schnitt von "JFK" erinnert "Alexander" selten. Viel eher an die Doors, an NBK und vielleicht "Platoon" - aber leider bringt Stone diesen Stil selten durch. Höchstens beim zentralen Thema, beim Umgang mit Macht und Verehrung. Dies umgesetzt in Bilder wie jene in Indien oder mit etlichen Gegenschnitten zu Raubtieren und animalischem Verhalten. Das ist Stone, das ist ein organisches, beinahe sphärisches Epos.

Aber diese Technik geht halt nicht immer auf. Über drei Stunden will man etwas mehr Substanz, etwas mehr Drive, etwas mehr Hand und Fuss. "Alexander" ist auf gewisse Art ein abgehobener, beinahe experimenteller Historienfilm, der extrem reizvoll ist, aber nicht auf ganzer Linie überzeugen kann. Das Schlimmste ist vielleicht, dass Stone sich nicht richtig zwischen ordinärer Heldenverehrung und postmoderner Dekonstruktion entscheiden kann. Er fällt dabei zwischen Stuhl und Bank und hinterlässt bei manchem Zuschauer eben das Gefühl, der Film sei diffus und es fehle an narrativem Fokus. Mag sein. Aber er faszinierte mich doch sehr. Vielleicht auch, weil in mir immer noch der ehemalige Geschichtsstudent steckt und ich ein solch ambitioniertes Epos lieber sehe als ein neues Kammerspiel aus Usbekistan. "Alexander" ist grosses, mutiges, visionäres, erotisches, abgehobenes, langatmiges, ausuferndes Kino mit theatralischen Schauspielern und viel viel Pathos. Wer das nicht mag, wird sich drei Stunden lang ärgern.

 

Nachtrag: Der Director's Cut, der 17 Minuten entfernt und 9 neue hinzufügt, ist etwas rasanter, aber viele der vermeintlichen Schwächen bleiben - ebenso wie die Faszination.
 


page created: 17.12.04 

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